Rechtsirrtümer

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Vorladung zur Polizei

Irrtum:
„Vorladungen“ zur Polizei muss man Folge leisten.

Richtig ist:
Nur Ladungen durch die Staatsanwaltschaft oder das Gericht müssen befolgt werden.

„Sie wollen nicht aussagen? Dann laden wir Sie eben morgen ins Präsidium vor!“ Diese Drohung hört man besonders von Fernsehkommissaren immer wieder gerne, wenn der Beschuldigte oder Zeuge einer Straftat sich nicht aussagebereit zeigt. Leider hört man nie die einzig angemessene Antwort: „Machen Sie mal. Sie können mich vorladen so oft sie wollen, ich muss nicht kommen und auch keine Aussage machen.“ Auch wenn es dem obrigkeitsstaatlichen Denken vieler Menschen widerspricht: Wenn man nicht gerade als Tatverdächtiger von der Polizei vorläufig festgenommen wird und deshalb mit auf die Wache kommen muss, ist man nicht verpflichtet, eine polizeiliche Vorladung zur Vernehmung zu befolgen. Viele können dies gar nicht glauben, denn schon das Wort „Vorladung“ klingt so offiziell und verbindlich, dass man sich bereits in Handschellen vorgeführt sieht, wenn man die vermeintliche Anordnung nicht befolgt. Niemand muss bei der Polizei eine Aussage machen, und zwar weder als Zeuge noch als Beschuldigter. Nur Angaben zur Person (Name, Anschrift, Geburtsdatum etc.) müssen sowohl Zeugen als auch Beschuldigte machen. Dies kann aber auch mündlich, schriftlich oder telefonisch geschehen. Niemand kann also gezwungen werden, eigens auf der Polizeiwache zu erscheinen, nur um dort mitzuteilen, wie er heißt. Unter Umständen kann es für die Betreffenden auch durchaus sinnvoll sein, zu Hause zu bleiben und nicht auszusagen. Das gilt natürlich in besonderem Maße, wenn Beschuldigte vorgeladen werden. Diese sollten auf jeden Fall einen Strafverteidiger zu Rate ziehen, bevor sie bei der Polizei irgendwelche unbedachten äußerungen tun. Vorladungen der Polizei sind also nicht verbindlich. Bei Ladungen des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft sieht dies schon anders aus. Sie müssen tatsächlich befolgt werden. Ob es besonders sinnvoll ist, dass ausgerechnet die Polizei als die Behörde, die die Hauptermittlungsarbeit leistet, kein Recht hat, verbindliche Ladungen auszusprechen, mag die Politik beurteilen. Einiges spräche wohl dafür, Polizeibeamten diese Kompetenz zuzubilligen. Die Mehrheit der Bevölkerung würde die Ver änderung zudem auch kaum bemerken, denn schließlich glauben sowieso die meisten, dass die Polizei dieses Recht schon heute hat.

Bei Interesse siehe hierzu:
§ 163 a Abs. 3 StPO (Strafprozessordnung), „Vernehmungen im Ermittlungsverfahren“
§ 214 StPO, „Ladungen“

Dr. jur. Ralf Höcker: Neues Lexikon der Rechtsirrtümer, Seite 72 f, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2007.
ISBN 978-3-548-36772-9

Weltuntergang am 31. Mai?

Irrtum:
Bis zum 31. Mai des Folgejahres muss man unbedingt seine Steuererklärung abgegeben haben.

Richtig ist:
Es gibt keine allgemein gültige und unverrückbare Abgabefrist „31. Mai“.

Alljährlich aufs Neue werden die Büros der Steuerberater Ende Mai von panischen Bürgern und Gewerbetreibenden gestürmt, die glauben, sie müssten unbedingt bis spätestens zum 31. Mai ihre Steuererklärung für das Vorjahr abgeben. Danach gebe es keine Rückerstattung mehr oder es fielen hohe Säumniszuschläge an. Der Steuerberater lehnt sich dann lächelnd zurück und beruhigt die aufgeregten Gemüter. Denn der 31. Mai ist zum Ersten nur die gesetzliche Abgabefrist für diejenigen, die überhaupt verpflichtet sind, eine Steuererklärung abzugeben. Viele Nur-Arbeitnehmer, die über keine sonstigen Einkünfte verfügen, gehören gar nicht zu dieser Gruppe. Sie können zwar eine Lohnsteuer-Rückerstattung beantragen, müssen es aber nicht. Und wenn sie Rückerstattung beantragen, dann haben sie damit nicht bloß fünf Monate Zeit, sondern zwei volle Jahre. Eine Rückerstattung für 2005 kann also nicht nur bis zum 31. Mai 2006 beantragt werden, sondern sogar noch bis zum 31.12.2007. Für diejenigen, die tatsächlich verpflichtet sind,eine Steuererklärung abzugeben – hierzu gehören vor allem Selbst ändige und Gewerbetreibende -, gilt zwar grundsätzlich die Abgabefrist 31. Mai. Dieses Datum ist in der Praxis jedoch nur theoretischer Natur. Vor allem, wer durch einen Steuerberater vertreten ist, bekommt ohne weiteres eine Fristverlängerung zum Beispiel bis zum 30. September desselben Jahres. Auch weitere Fristverl ängerungen sind nach dem Ermessen der Finanzbehörden möglich.

Fazit: Die Frist des 31. Mai für die Abgabe der Steuererklärung existiert zwar. Für viele gilt sie jedoch nicht, und selbst wenn sie gilt, kann man sie relativ leicht verlängern lassen.

Bei Interesse hierzu:
§ 149 AO 1977 (Abgabenordnung), „Abgabe der Steuererkl ärungen“

Dr. jur. Ralf Höcker: Neues Lexikon der Rechtsirrtümer, Seite 141 f, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2007.
ISBN 978-3-548-36772-9

"Deutschland, Deutschland über alles"

Irrtum:
Die beiden ersten Strophen des Deutschlandliedes sind verboten.

Richtig ist:
Wer unbedingt „Deutschland, Deutschland über alles“ und „von der Maas bis an die Memel“ singen will, der darf dies tun.

Das Lied der Deutschen

Deutschland, Deutschland über alles,
über alles in der Welt,
Wenn es stets zu Schutz und Trutze
Brüderlich zusammenh ält,
Von der Maas bis an die Memel,
Von der Etsch bis an den Belt –
Deutschland, Deutschland über alles,
über alles in der Welt!

Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang
Sollen in der Welt behalten
Ihren alten schönen Klang,
Uns zu edler Tat begeistern
Unser ganzes Leben lang –
Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang!

Einigkeit und Recht und Freiheit
Für das deutsche Vaterland!
Danach lasst uns alle streben
Brüderlich mit Herz und Hand!
Einigkeit und Recht und Freiheit
Sind des Glückes Unterpfand –
Blüh im Glanze dieses Glückes,
Blühe, deutsches Vaterland!

(Hoffmann von Fallersleben)

Das Lied der Deutschen wurde 1922 zur deutschen Nationalhymne erklärt. Heute dürfte unser Land das einzige der Welt sein, dessen Bewohner zu einem großen Teil glauben, es sei strafbar, Teile der eigenen Nationalhymne zu singen. Selbst Polizisten unterliegen mitunter diesem Irrtum und beschlagnahmen CDs, auf denen das Deutschlandlied in allen drei Strophen zu hören ist. Sicher: Das Bundesverfassungsgericht stellte 1990 klar, dass die ersten beiden Strophen heute gerade nicht mehr zur Nationalhymne gehören. Die beiden Strophen sind strafrechtlich daher auch nicht mehr als nationales Symbol gegen Verunglimpfung geschützt. Vielmehr werden sie behandelt wie jedes andere Lied auch. Wer also heute laut „Pfui!“ rufen möchte, wenn die erste oder zweite Strophe gesungen wird, darf dies tun, ohne strafrechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Ab der dritten Strophe sollte er jedoch lieber den Mund halten. Denn dann beginnt der strafrechtliche Schutz des Deutschlandliedes als nationales Symbol. Wer jetzt noch Unfl ätiges dazwischenbrüllt, kann dafür zur Verantwortung gezogen werden. Ihm drohen Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, in schwerwiegenden Fällen sogar bis zu fünf Jahren. Dass man die ersten beiden Strophen heute ungestraft verunglimpfen kann, heißt jedoch noch lange nicht, dass es deswegen auch gleich verboten ist, sie zu singen. Das gilt vor allem für die zweite Strophe. Sie besingt im Wesentlichen das ideologisch vollkommen unverdächtige Thema von „Wein, Weib und Gesang“, die uns „zu edlen Taten begeistern“ sollen. Damit ist die Kernaussage dieser Strophe nun wirklich so harm- wie zeitlos – Bekenntnisse späterer Generationen zu „Sex, Drugs and Rock’n’Roll“ besagen schließlich im Kern nichts anderes. Man mag sich zwar fragen, was derlei Themen in einer Nationalhymne verloren haben. Sie gleich für strafbar zu erklären, dürfte jedoch ein wenig zu weit gehen. Die erste Strophe dagegen ist weit eher geeignet, beim Singen oder Zuhören Bauchschmerzen zu bereiten. Zwar haben wir alle in der Schule gelernt, dass Hoffmann von Fallersleben mit „Deutschland, Deutschlandüber alles“ nicht etwa Rassenideologie und Weltherrschaftsträume der Nazis vorwegnehmen wollte, als er 1841 das Deutschlandlied textete. Ihm ging es bekanntlich nur darum, mit diesem Anspruch für den Zusammenschluss der deutschen Teilstaaten zu einem einigen Nationalstaat zu werben. Dennoch sollte man berücksichtigen, dass diese Textzeilen jedenfalls im Ausland seit der Naziherrschaft ganz anders verstanden wurden, als sie ursprünglich gemeint waren. Und auch das Besingen von Maas, Memel, Etsch und Belt ist heute sicher nicht ganz unproblematisch. Denn nach den deutschen Gebietsverlusten infolge der beiden Weltkriege liegen diese Gewässer heute nicht mehr in Deutschland, sondern in Belgien (Maas), zwischen Russland und Litauen (Memel), im italienischen Südtirol (Etsch) und vor der dänischen Küste (Kleiner Belt). Deshalb gilt: Wer das Deutschlandlied in allen drei Strophen singen möchte, der darf dies zwar tun. Im Interesse gutnachbarschaftlicher Beziehungen im zusammenwachsenden Europa sollte man von diesem Recht aber nicht gerade beim nächsten Campingurlaub in Dänemark Gebrauch machen. Ansonsten erinnern sich unsere nordischen Nachbarn vielleicht irgendwann daran, dass auch ihre Grenze schon einmal um einiges weiter südlich verlief. Und das möchte man in Flensburg heute sicher auch nicht mehr hören.

Bei Interesse siehe hierzu:
§ 86 a StGB (Strafgesetzbuch), „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“
§ 90 a StGB, „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“

Dr. jur. Ralf Höcker: Neues Lexikon der Rechtsirrtümer, Seite 151 ff, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2007.
ISBN 978-3-548-36772-9

Heimlich Tonbandaufnahmen

Irrtum:
Heimliche Tonbandaufnahmen sind sehr nützliche Beweismittel.

Richtig ist:
Heimliche Tonbandaufnahmen sind als Beweismittel in aller Regel nicht verwertbar.

Immer wieder kommt es vor, dass Mandanten bei Ihrem Anwalt erscheinen und ihm versteckt gemachte Tonbandaufnahmen präsentieren, mit denen sie zum Beispiel beweisen wollen, dass ihr Nachbar sie ständig unflätig beleidigt. Andere schneiden heimlich Telefongespräche mit, um so zum Beispiel belegen zu können, dass der Gesprächspartner ihnen Geld schuldet. Und nun solle der Anwalt mal schön Anzeige erstatten oder klagen – Beweismittel genug habe er ja jetzt. Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Wer heimlich das nicht öffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt, macht sich strafbar. Der entsprechende Tatbestand im Strafgesetzbuch heißt „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“. Selbst Richter, Staatsanwaltschaft und Polizei dürfen Gespräche nur unter strengen Voraussetzungen abhören und aufzeichnen. Nur schwere Straftaten, die im Gesetz ausdrücklich aufgezählt sind, können solche Maßnahmen rechtfertigen. Das rechtswidrige Anfertigen von Tonaufnahmen ist nicht nur strafbar. Es ist obendrein auch noch völlig nutzlos. Denn vor Gericht dürfen rechtswidrig angefertigte Tonaufnahmen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes nicht verwertet werden. Der Richter muss so tun, als gebe es die Aufnahme gar nicht. Wenn es außer der Aufnahme keine weiteren Beweismittel gibt, sind ihm daher die Hände gebunden. Für die oben genannten Beispiele heißt das: Der wegen Beleidigung angeklagte Nachbar muss freigesprochen und der säumige Schuldner kann nicht zur Zahlung verurteilt werden. Wie so viele Irrtümer beruht wohl auch die falsche Vorstellung von der Verwertbarkeit heimlicher Tonaufnahmen auf dem Konsum amerikanischer Filme und Fernsehsendungen. Zahlreiche Grundrechte und Freiheiten, die in Europa selbstverständlich sind, gelten in den USA gar nicht oder nur in sehr eingeschränktem Maße. Dies gilt auch für den Schutz jedes Bürgers vor der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes.

Bei Interesse siehe hierzu:
§ 201 StGB (Strafgesetzbuch), „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“

Dr. jur. Ralf Höcker: Neues Lexikon der Rechtsirrtümer, Seite 156 f, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2007.
ISBN 978-3-548-36772-9

Präzedenzfälle

Irrtum:
Es gibt Präzedenzfälle, an die die Gerichte sich halten müssen.

Richtig ist:
Präzedenzfälle gibt es nur im anglo-amerikanischen Rechtsraum.

Immer wieder kann man in der Presse lesen, dass der Bundesgerichtshof (BGH) oder gar das Amtsgericht Waldbröl angeblich einen „Präzedenzfall“ entschieden haben. Und weil das Wort „Präzedenzfall“ so offiziell und allgemeinverbindlich daherkommt, meinen viele, alle anderen Gerichte müssten ähnliche Fälle nun genauso entscheiden. Nichts gegen das schöne Waldbröl im Bergischen Land und sein Amtsgericht, aber weder dort noch beim Bundesgerichtshof können Richter Urteile erlassen, die als „Präzedenzfall“ andere Richter binden. ältere Urteile ihrer Kollegen werden Richter bei der Entscheidungsfindung zwar berücksichtigen – das gilt vor allem dann, wenn ein höheres Gericht wie der BGH schon einmal eine ähnliche Frage entschieden hat. Dennoch gilt der eiserne Verfassungsgrundsatz der richterlichen Unabhängigkeit: Richter müssen keinen Weisungen folgen. Sie sind nur an das Gesetz gebunden. Den Begriff „Präzedenzfall“ gibt es im deutschen Rechtswesen daher gar nicht. Wieso taucht er dann trotzdem so häufig in Artikeln und TV-Produktionen auf? Die Journalisten und Drehbuchautoren, die ihn verwenden, haben ihn ganz einfach aus dem anglo-amerikanischen Rechtssystem übernommen, wohl deshalb, weil er so schön griffig klingt. In den USA und England herrscht eine völlig andere Rechtstradition als auf dem europäischen Kontinent. Dort legt man traditionell viel weniger Wert auf geschriebenes Recht. Für viele Rechtsfälle gibt es – vor allem in England – überhaupt keine einschlägigen Gesetze. Stattdessen praktiziert man ein eher einzelfallbezogendes richterliches Fallrecht (ein so genanntes „case law“). Wenn ein Fall zur Entscheidung ansteht, wird zunächst einmal überprüft, ob vergleichbare Fälle früher schon einmal von einem Richter entschieden wurden. Wenn es solche Präzedenzfälle („precedents“) gibt, dann ist der Richter jedenfalls dann an die älteren Urteile gebunden, wenn diese vom eigenen Gericht oder von einem höheren Gericht stammen. Abweichen kann er von dem älteren Urteil, wenn der aktuelle Fall von dem früheren in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht abweicht („distinguishing in fact“ oder „distinguishing in law“). Aber wie gesagt: In Deutschland ist dies ganz anders. Deutsche Richter sind in ihrer Urteilsfindung erheblich freier. Präzedenzfälle nach anglo-amerikanischem Vorbild gibt es hierzulande nicht.

Bei Interesse siehe hierzu:
Art. 97 Abs. 1 GG (Grundgesetz), „Unabhängigkeit der Richter“

Dr. jur. Ralf Höcker: Neues Lexikon der Rechtsirrtümer, Seite 68 ff, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2007.
ISBN 978-3-548-36772-9

Privatdetektive und Rechtsanwälte

Irrtum:
Strafverteidiger beauftragen ständig Privatdetektive.

Richtig ist:
„Matulas“ gibt es in den USA. In Deutschland arbeiten Strafverteidiger und Privatdetektive nur selten zusammen.

Die Krimiserie „Ein Fall für zwei“ ist ein schönes Beispiel für eine deutsche Fernsehproduktion, deren Macher offensichtlich zu viele amerikanische Detektivfilme gesehen haben. Sie ist genauso unrealistisch wie viele andere deutsche Kriminalfilme und Serien, die ein stark verf älschtes Bild vom Alltag eines deutschen Rechtsanwalts oder Privatdetektivs vermitteln. In Amerika ist es tats ächlich so, dass Strafverteidiger h äufig Privatdetektive wie Josef Matula beauftragen. Ihre Aufgabe ist es, entlastendes Material für den angeklagten Mandanten der Rechtsanwalts zu sammeln. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus einer Besonderheit des amerikanischen Rechtswesens. Ein deutscher Strafrichter muss von Amts wegen ermitteln, ob der Angeklagte tats ächlich der T äter sein kann. Wenn er Zweifel daran hat, was eigentlich geschehen ist, muss er weitere Ermittlungen anstellen lassen. Auch der Staatsanwalt ist verpflichtet, nicht nur belastende, sondern auch entlastende Umst ände zu ermitteln. Anders als in Deutschland gibt es in den USA hingegen kein Amtsermittlungsgrundsatz. Der Richter l ässt sich s ämtliches Beweismaterial ganz einfach von Staatsanwaltschaft und Verteidigung liefern und entscheidet dann ausschließlich auf Grund der Informationen , die ihm die beiden Seiten liefern. Er selbst muss also überhaupt nichts ermitteln. Auch amerikanische Staatsanw älte sind nicht verpflichtet, zu Gunsten des Angeklagten Ermittlungen anzustellen. Einem Angeklagten bleibt in den USA daher h äufig gar nichts anderes übrig, als selbst einen Privatdetektiv damit zu beauftragen, entlastendes Material zu sammeln. In der Praxis vermittelt h äufig der Rechtsanwalt des Angeklagten einen Privatdetektiv, mit dem er in solchen F ällen h äufig zusammenarbeitet. Matula & Co. gibt es in den USA also tats ächlich. In Deutschland dagegen ist die Zusammenarbeit von Strafverteidigern und Detektiven die Ausnahme. Sie kommt vor, jedoch viel seltener, als Serien wie „Ein Fall für zwei“ es suggerieren.

Dr. jur. Ralf Höcker: Neues Lexikon der Rechtsirrtümer, Seite 162 ff, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2007.
ISBN 978-3-548-36772-9

Rufmord

Irrtum:
Es gibt einen Straftatbestand namens „Rufmord“.

Richtig ist:
„Rufmord“ ist kein juristischer Fachbegriff.

Wer in einer Internetsuchmaschine die Begriffe „Rufmord“ und „strafbar“ eingibt, wird mehrere Tausend Treffer erzielen. Auf unz ähligen Internetseiten wird davor gewarnt, dass man sich angeblich wegen Rufmordes strafbar mache, wenn man zum Beispiel falsche Tatsachenbehauptungen aufstellt. Beides ist falsch. Zum Ersten gibt es den so oft zitierten Straftatbestand des Rufmordes überhaupt nicht. Zum Zweiten macht man sich auch nicht unbedingt strafbar, wenn man irgendwelche falschen Tatsachenbehauptungen aufstellt. Ansonsten wäre schließlich jede harmlose Lüge bereits eine Straftat. So weit sind wir zum Glück noch nicht. Wenn es auch keinen Rufmord gibt, so kann ein Verhalten, das juristische Laien für Rufmord halten, jedoch andere Straftatbest ände erfüllen. Wer zum Beispiel bei der Polizei wider besseres Wissen behauptet, sein Nachbar stehle ihm jeden Morgen die Zeitung aus dem Briefkasten, begeht eine so genannte falsche Verd ächtigung. Wer über einen anderen sonstige falsche oder nicht beweisbare Behauptungen verbreitet, kann sich außerdem wegen übler Nachrede oder Verleumdung strafbar machen. Das gilt jedoch nur dann, wenn die falsche Tatsachenbehauptung geeignet ist, den anderen ver ächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Alle anderen falschen Tatsachenbehauptungen sind strafrechtlich unproblematisch. Wer juristisch pr äzise argumentieren möchte, sollte also nicht von Rufmord sprechen, sondern eine der vorgenannten Bezeichnungen verwenden, wenn ihn die unwahren Behauptungen eines anderen stören.

Bei Interesse siehe hierzu:
§ 186 StGB (Strafgesetzbuch), „üble Nachrede“
§ 187 StGB, „Verleumdung“

Dr. jur. Ralf Höcker: Neues Lexikon der Rechtsirrtümer, Seite 132 f, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2007.
ISBN 978-3-548-36772-9